Tina Lung - Bye Bye Wohn-Chaos

 

[00:00:04.610] - Elinor Maiß

Guten Morgen! Heute sind wir zusammen für eine neue Aufzeichnung, ein neues Interview im Rahmen von "Wohnen mit Wohlfühlfaktor". Und heute ist zu Gast die Tina Lung. Die Tina ist Aufräum-Coach oder Ordnungs-Coach. Tina, magst du dich mal vorstellen?

 

[00:00:28.760] - Tina Lung

Mega gern, vielen Dank für die Einladung, Elinor! Freue mich sehr, an diesem sonnigen Morgen mit dir zu plaudern. Genau, ich bin von Beruf Ordnungs-Coach und auch individualpsychologische Beraterin - noch in Ausbildung - und ich biete meinen Kunden Beratung und Coaching an für die Ordnung, die sich aber einerseits eben im Äußeren, in unseren Räumen abspielt, aber auch in unserem Inneren. Manche Kunden kommen zu mir zuerst wegen dem Chaos im Haus und andere kommen zu mir wegen dem Chaos im Kopf. Schlussendlich landen wir aber immer wieder auf dem gleichen Punkt, egal wo wir ansetzen.

 

[00:01:16.520] - Elinor Maiß

Tina, ich...bevor ich mit den offiziellen Fragen beginne... Ich kann in deine Wohnung gucken oder in dein Haus gucken. Wann ist für dich etwas unordentlich?

 

[00:01:32.820] - Tina Lung

Das ist eine gute Frage. Für mich ist es dann unordentlich, wenn die Sachen nicht dort liegen, wo sie hingehören. Und in unserem Haushalt hat grundsätzlich alles ein Zuhause, also einen Platz, wo wir klar wissen: Die Schere gehört dorthin, wo die Spielsachen da. Und wenn die nicht an diesem Platz liegen, dann fühlt sich etwas unordentlich an.

 

Elinor Maiß

Ist das mit all deinen Familienmitgliedern so, dass sie das so sehen?

 

[00:02:07.450] - Tina Lung

Glücklicherweise bin ich mit zwei sehr guten Männern gesegnet, die Ordnung auch mögen. Aber jetzt gerade hier hinter meinem Laptop auf dem Boden liegen gerade Spielsachen rum, die unser Kleiner vorm Kindergarten heute Morgen bespielt hat. Und die dürfen auch dort liegen bleiben - jetzt, weil ich weiß, er wird nachher damit weiterspielen. Aber ich weiß, er wird es auch heute Abend wieder versorgen und das gehört mit in dieses Ordnungsding rein, es darf temporär unordentlich sein, weil wir leben hier. Die Sachen sind ja in Gebrauch, aber wir wissen doch alle, wo sie hingehören und die werden dann auch am Ende des Tages dort wieder hin zurückwandern und dann fühlt's sich das für mich gut an.

 

[00:02:57.610] - Elinor Maiß

Ja, ich komme jetzt wieder auf den Punkt, den wir gerade bei unserem Vorgespräch hatten. Ich hatte dir erzählt, dass ich in einem Gespräch mit einer Freundin über das Thema Ordnung und Aufräumen von ihr als Antwort bekommen habe: Ich bin ein Widder, ich kann das nicht. Ich bin einfach nicht so. Was sagt die Fachfrau dazu?

 

[00:03:25.500] - Tina Lung

Stimmt das wirklich? Sind alle Widder unordentlich oder würde deine Freundin vielleicht doch noch den ein oder anderen Mensch finden, der auch Sternzeichen Widder ist und vielleicht mega penibel ordentlich ist? Also es sind so die Themen, wo ich gerne mit meinen Kundinnen dann so ein bisschen eben wieder in diese innere Ordnung gehe, wo wir zusammen so diese Gedanken, die wir haben, so diese Glaubenssätze, die sich einfach in unserem Leben da so reingeschlichen haben....die haben ja irgendwie so einen Wahrheitsgehalt....wo wir die dann zusammen aber noch mal unter die Lupe nehmen und schauen, haben die früher mal gestimmt? Aber das ist sozusagen veraltet und überholt. Und können wir das wieder anpassen an ihre aktuelle Situation? Stimmt das gar nicht mehr oder kann sie das verändern? Ist sie doch in der Lage, als Widder zum Beispiel zu lernen, Ordnung zu halten. Und dann wird es auch machbar.

 

[00:04:34.170] - Elinor Maiß

Was machst du denn mit Menschen, die sagen: Hm, ich sollte eigentlich Ordnung halten, aber im Prinzip ist es mir egal.

 

[00:04:43.440] - Tina Lung

Das sind nicht meine Kunden und ich sage: Gratuliere, ich bin froh, dass du glücklich bist mit deinem, wie soll ich sagen, mit deinem Ordnungszustand. Denn in meiner Meinung gibt es nicht die perfekte Ordnung. Die perfekte Ordnung muss jede Person für sich selbst definieren. Es gibt ja ganz kreative Menschen, die gerne alle Materialien greifbar haben und jemand anders möchte sie schön sortiert haben. Es gibt Leute, die mögen ganz leere Wohnungen, ganz minimalistisch, andere lieben Dekorationen und Erinnerungsstücke, die sie sehen und anfassen können. Und deshalb kann man es nicht über einen Kamm scheren.

 

[00:05:32.930] - Elinor Maiß

Du weißt, ich bin die Frau mit meinem Business Raum im Glück, die den Menschen hilft, ihre Wohnräume, ihre Lebensräume zu einem Wohlfühl-Ort zu machen. Und du bist diejenige, die das ganze mit dem Thema Ordnung verbindet. Wenn ich jetzt sagen würde, die Verbindung zwischen uns beiden ist: Harmonisch Ord.... Quatsch, harmonische Wohnung trifft.... Wen trifft sie?

 

[00:06:06.300] - Tina Lung

Die harmonische Wohnung, die trifft die Ordnung und Wohlbefinden und Ordnung in Anführungszeichen, weil es die Ordnung der Person ist. In der Vorstellung, wie sich für diese Person wohlfühlende Ordnung anfühlt.

 

[00:06:27.060] - Elinor Maiß

Damit sind wir wieder bei dem, was du vorhin gesagt hast, dass es keine allgemeine Ordnung gibt, sondern jeder seine individuelle finden muss.

 

[00:06:41.580] - Tina Lung

Unbedingt. Und man muss auch dazu stehen dürfen. Das ist ganz schwierig.... höre das von so vielen Menschen, wenn die nur schon hören, was mein Beruf ist, sagen sie:  Oh, dann muss ich erst aufräumen, bevor du zu Besuch kommst. Und wenn ich dann aber mehr nachfrage, dann gibt es doch viele, die sagen: Eigentlich doch, für mich, stimmt's. Aber wenn ich weiß, du kommst, fühle ich mich unter Druck. Und ich würde mir so wünschen, dass es so diese Verallgemeinerung abgebaut werden dürfte und jede Person zu dem stehen darf, wie sie sich wohlfühlt und gerne lebt.

 

[00:07:18.930] - Elinor Maiß

Finde ich jetzt sehr interessant, weil bei meinem Einrichtungs-Thema und Umgestaltungs-Thema gibt es auch so den Aspekt: Was sollen die Leute sagen? Was sollen meine Gäste sagen? Was denken die über meine Wohnung? Ich selber mag mich da vielleicht auch nicht mehr hundertprozentig wohlfühlen, aber wenn der Blick von außen dazukommt, kriegt die ganze Sache noch mal eine ganz schwierige Komponente dazu. Siehst du das genauso?

 

[00:07:54.200] - Tina Lung

Ich sehe das auch und ich glaube, da darf man ganz ehrlich sein zu sich selbst und erst mal wirklich schauen, wie stelle ich mir meine Wohnungseinrichtung vor?  Wie soll die sich anfühlen? Was mag ich denn? Dann schlussendlich wohne ja ich... oder unsere Kunden wohnen ja dort. Die Gäste kommen und gehen wieder. Und ich bin auch der Meinung, dass Gäste... die spüren, wie wie die Bewohner in ihren Wohnungen leben, ob die sich dort wohlfühlen. Und ich glaube wirklich, das überträgt sich. Wenn die merken, jemand ist mit Leidenschaft, lebt in ihrem Pflanzen Dschungel und man merkt, die blüht auf und ist gern dort. Es mag nicht meins sein, aber es fühlt sich ganz anders an, als wenn ich merke, die ist immer schnell alles am Wegschieben, dass niemand sieht, was hinter der Türe lauert. Ich glaube, dass wir das ganz stark ausstrahlen, ob wir wirklich so im Reinen sind mit uns, wie wir leben.

 

[00:08:59.540] - Elinor Maiß

Was sagst du zu dem Stichwort Prestige?

 

[00:09:04.820] - Tina Lung

Was ist denn Prestige? Wer definiert es sich? Das ist wieder so ein Punkt, wo ich mit meinen Kundinnen wieder hinter die Kulissen schauen würde. Was ist für dich Prestige? Wieso definierst du das so? Hat es für dich einen Wert? Also brauchst du ein Prestige Wohnobjekt oder ist das eigentlich völlig egal? Für mich spielt es persönlich überhaupt keine Rolle. Nein, ich glaub nicht, dass ich ein Prestige eingerichtetes Zuhause habe. Ich liebe zum Beispiel Second Hand Möbel, also überhaupt nix Teures oder Besonderes, aber mir gefällt's, ich fühl mich wohl damit.

 

[00:09:55.250] - Elinor Maiß

Na ja, ich meine, du sagst Second Hand ...Im Moment ist Vintage Mode.

 

[00:10:00.360] - Elinor Maiß

Da kommt gleich der zweite Aspekt. Also ich denke, Prestige und Trends sind zwei Dinge, die relativ dicht zusammenhängen in unserem Feld.

 

[00:10:12.830] - Tina Lung

Das stimmt, da hast du recht. Ich glaube, der Trend.... der Unterschied besteht aus meiner Sicht beim Trend, das ändert sich immer. Wir sind da offen, da so je nachdem mitzugehen, so nach Geschmack. Und Prestige, da es gibt schon eine innere Haltung. Ich muss etwas nach außen präsentieren, um so ein bisschen meinen Status zu halten. Oder wie siehst du das denn?

 

[00:10:46.130] - Elinor Maiß

Ich denke, Trend ist möglicherweise etwas Spielerischeres, was nicht so tief an meine Überzeugungen geht, sondern da ist was, dem kann ich folgen oder nicht. Im Idealfall kann ich dem folgen oder nicht. Wenn ich einen inneren Zwang habe, dann muss ich dem vielleicht innerlich folgen, auch wenn es mir vielleicht nicht gefällt. Aber ich glaube, das Prestige geht tiefer an die innere Substanz. Ich habe da vorher auch noch nicht drüber nachgedacht, aber wenn ich mir da jetzt so die Worte, die Begriffe angucke, denke ich, wenn jemand Prestige-trächtig ist, das ist schwieriger zu bearbeiten.

 

[00:11:36.010] - Tina Lung

 Man ist doch wie von außen geführt, unter Druck. Es spielt auf einmal eine ganz große Rolle..., also Prestige funktioniert ja nur, wenn es jemand anders auch wahrnimmt, oder?

 

[00:11:50.650] - Elinor Maiß

Absolut.

 

[00:11:53.110] - Tina Lung

Aber ein Trend, den kann ich auch für mich ganz alleine umsetzen. Ich kann meine Wohnung nach dem neuesten Trend einrichten und lebe trendy. Aber das Prestige, das funktioniert ja nur, wenn jemand es auch sieht und wahrnimmt.

 

[00:12:13.890] - Elinor Maiß

Ja.

 

[00:12:15.460] - Tina Lung

Ja, eine interessante Überlegung. Ich muss noch ein bisschen mehr darüber nachdenken.

 

[00:12:21.010] - Elinor Maiß

Ich hatte letztens zu so einem Thema einen Blogartikel und habe den Vergleich gezogen zum Leben im Schloss und ich habe dann die These aufgestellt - und ich denke, die stimmt auch - dass die Menschen, die in diesem Schloss gelebt haben, in diesen großen Räumen überhaupt nicht waren, sondern die waren definitiv zum Repräsentieren und gelebt haben die auch in kleinen Räumen. Das kann man in Schlössern manchmal so sehen und die kleinen Räume sind nicht schlecht, aber die sind definitiv um Klassen - in Anführungszeichen - geringer, nicht geringwertiger, aber kleiner, gemütlicher, persönlicher als diese Riesen Räume. Ja, und da brauchten sie halt nicht so repräsentieren.

 

[00:13:13.770] - Tina Lung

Ja, ich könnte mir auch vorstellen, dass in den kleineren Räumen mehr Persönlichkeit zum Vorschein kam. Und von diesen Menschen in ihren großen, prunkvollen Sälen waren auch irgendwelche Porträts und Gemälde vielleicht. Aber sind es nur diese kleinen persönlichen Finessen, die man sich....die es zu einem Zuhause macht, oder?

 

[00:13:37.090]

Genau die es zum Zuhause macht. Tina, was macht denn dein Angebot so besonders?

 

[00:13:47.520] - Tina Lung

Also, was es vor allem für die Kunden besonders macht, ist, dass sie nachher Ordnung haben oder - je nachdem, wie lange wir zusammen unterwegs sind -  mehr Ordnung haben. Dass sie auch lernen diese Ordnung selbstständig zu gestalten, herbeizuführen und vor allem auch zu halten. Oder halt auch mit veränderten Lebenssituationen dann auch lernen, neu mit dem umzugehen, vielleicht kommt ein Partner ins Leben oder Kinder. Das bringt ja immer ganz neue Ausgangslagen zu diesen Ordnungsthemen. Und mein Ziel ist immer, dass meine Kundinnen lernen, dass sie ganz alleine dann wieder selbst sich zurechtfinden können in der neuen Ausgangslage und das ohne meine konstante Hilfe von außen verinnerlichen können, umsetzen kann.

 

[00:14:46.080] - Elinor Maiß

Es gibt ja inzwischen eine ganze Menge Ordnungscoaches. Wo setzt du dich ab von denen?

 

[00:14:55.000] - Tina Lung

Also ich habe tatsächlich ...

 

[00:14:55.940] - Elinor Maiß

Warum sollte ich zu dir kommen?

 

[00:14:58.190] - Tina Lung

Genau, also als ich 2013 begonnen habe, habe ich auch wirklich nur als klassischer Ordnerscoach, so Professionel Organiser, angefangen. Komm her, wir bringen einfach Struktur, Ordnung in was auch immer, den Schrank, den Raum, das Haus, bis alles sortiert ist, schön aussieht, genau, für die äußerliche Ordnung. Und meine Erfahrung war einfach über die Jahre, ganz viele Kunden haben mich dann später wieder angerufen und gesagt: Kannst du wiederkommen für denselben Bereich? Und dann dachte ich, irgendwas läuft hier nicht gut. Ich mein' schön, kann ich noch mal abkassieren, aber es hat mich nicht erfüllt. Es war nicht mein Ziel. Und das hat sich dann halt immer mehr in mich reingesetzt, nein, ich muss mehr mit den Menschen hinter die Kulissen schauen und sehen, wozu haben sie Unordnung? Und es klingt jetzt vielleicht so ganz provokativ, denn wir wollen ja alle keine Unordnung. Und doch, wenn man da so ein bisschen tiefer geht, kommen ganz oft gute Gründe zum Vorschein. Vorteile vermeintliche, weshalb eine Person diese Unordnung unbewusst aufrecht erhält. Oder gar nicht erst Ordnung macht.

 

[00:16:25.760] - Elinor Maiß

Magst du mal ein paar nennen?! Ich denke, das ist ein spannender Aspekt auch für unsere Zuhörer und Zuhörerinnen.

 

[00:16:33.700] - Tina Lung

Ich hatte zum Beispiel .... Ein Beispiel… die Frau, es war eine Frau, die hatte schon...: Ich hatte schon immer Chaos und Unordnung, schon immer. Und das führte so weit, dass man bei ihr nie unangemeldet klingeln konnte. Also, sie hätte auf keinen Fall die Tür geöffnet für unerwarteten Besuch. Und das war schade. Und wir sind dann immer mehr... so ein bisschen in die Tiefe gefolgt und haben rausgefunden, dass sie eigentlich die geborene Gastgeberin ist und Gäste liebt. Also dass ihr Traum... dass  ihr Haus offen ist und die Menschen einfach kommen dürfen und sich wohlfühlen. Aber das ging ja nicht, weil diese Tür war ja immer zu, weil die Ordnung war ja nie perfekt. Und wir sind dann auf dem Punkt gelandet, dass die Angst, dass sie vielleicht jemanden einlädt und die Person absagt, ist so groß, dass es doch einfacher war, diese Ordnung, dieses Chaos vorzuschieben: Ich könnte sowieso keinen Besuch empfangen und dann kann ich auch nicht enttäuscht werden, wenn keiner kommt.

 

[00:17:44.390] - Elinor Maiß

Also ganz tief, auf der tiefsten Ebene Angst vor Enttäuschung? Also letztlich Angst, nicht geliebt zu werden?

 

[00:17:52.890] - Tina Lung

Hm, ja.

 

[00:17:55.190] - Elinor Maiß

Oh..

 

[00:17:56.480] - Tina Lung

Und es ist so schön... diese Momente, wenn diese Menschen das erkennen. Es ist schon mal dieses Wow und das habe ich mir irgendwie alles aufrecht erhalten, so unbewusst. Und wenn sie dann aber auch erste Schritte nehmen und merken: Okay, ich könnte vielleicht sogar mit Chaos meine Türe öffnen, das wäre auch denkbar. Ähm, ganz viele Menschen möchten eigentlich gerne zu mir zu Besuch kommen. Wahrscheinlich würden die allerwenigsten absagen. Und wo wir uns dann wieder langsam hochtasten können, aber das ist halt wieder mehr diese innere Arbeit, die primär überhaupt nichts mit dem Sortieren von Gegenständen zu tun hat. Weil das ist am Schluss nur noch der Feinschliff, wenn der dann überhaupt noch nötig sein sollte.

 

[00:18:47.450] - Elinor Maiß

Okay. Das heißt, es kann passieren, dass jemand nach dem Coaching mit dir seine vermeintliche Ordnung einfach so lässt wie sie ist, nur innerlich eine andere Haltung dazu hat.

 

[00:19:05.800] - Tina Lung

Ja. Weil es ist ja immer in unserem Empfinden, oder? Ist die Wohnung ordentlich oder unordentlich und in einem Zustand, dass ich zum Beispiel Gäste empfangen könnte? Das ist ja nur unsere Entscheidung. Man kann jederzeit Menschen in seine Wohnung reinlassen, wenn sie reinpassen... wenn sie nicht so zugemüllt ist. Aber ja, manchmal nimmt es ganz neue Wendungen an und die Menschen merken: Es geht so, wie es ist. Es ist ja gar nicht mal so schlimm, wie ich es mir immer aufgebauscht habe.

 

[00:19:41.840] - Elinor Maiß

Ich habe gestern Abend meinem Mann von unserem Interview erzählt und dass du Ordnungscoach bist. Und dann hat er gefragt: Arbeitet die auch mit Messis?

 

[00:19:55.970] - Tina Lung

Ich finde dieses Thema extrem spannend und es bewegt mich auch sehr, weil... wenn es dieses Ausmaß annimmt, dann steckt doch eine ganz, ganz tiefe Not dahinter. Und ich fühle mich jetzt aktuell einfach auch von meiner Ausbildungsstufe noch nicht ganz in der Lage, dass ich sage, dass ich jemand halt auch auf dieser therapeutischen Ebene so weit begleiten könnte, um den Personen gerecht zu werden. Das ist aber wirklich ein Thema, das mich sehr beschäftigt und wo ich stetig daraufhin arbeite. Ich würde mir das wünschen in Zukunft, dass ich wirklich auf der  psychologisch-beraterischen Ebene immer mehr, ja, dem gewachsen bin, Hilfestellung im Angebot habe, um diese Leute wirklich da raus zu begleiten. Bei Messis ist ja Fakt... ganz viele Messies haben zum Beispiel in ihrem Büro einen picobello, perfekt aufgeräumten Arbeitsplatz.

 

[00:21:04.930] - Elinor Maiß

Aha.

 

[00:21:05.740] - Tina Lung

Also Messi ist ganz häufig nicht gleich: Ich bin ein kompletter Chaot überall. Es gibt ganz viele Fälle, wo sich das nur innerhalb von den vier Wänden so beschränkt. Und von außen weiß das kein Mensch.

 

[00:21:23.020] - Elinor Maiß

Also das hätte ich jetzt nicht gedacht. Ja, das ist jetzt was Neues für mich.

 

[00:21:28.960] - Tina Lung

Es gibt sicher auch beide Fälle, aber ganz häufig wird es auch.... das ist auch ganz stark Scham behaftet bei vielen betroffenen Personen... und die können wie so ein Doppelleben aufbauen, das auch gar niemand überhaupt in die Nähe ihrer Wohnung käme und von dem....sie sind vielleicht auch ganz gepflegt... körperlich. Also wenn sie aus dem Haus gehen, würde niemand ahnen, was hinter den Wänden so los ist. Also ganz großes Thema.

 

[00:22:06.010] - Elinor Maiß

Da muss ich mal gleich nachfragen. Also, wenn wenn die Diskrepanz so groß ist, wie würdest du denn Messi definieren? Also ich habe da Bilder und ich habe auch so Leute selber erlebt. Ich war vor vielen Jahren mal in so einem Kreis, wo man sich gegenseitig geholfen hat und ich habe da insbesondere zwei Männern mal geholfen, ihre Wohnungen zu sortieren und ich fand es nur grauenvoll. Der eine war wirklich komplett zugemüllt und der andere war... ja, ein wenig anders, aber letztlich auch zugemüllt. Und bei denen ist genau das passiert, wie du es beschrieben hast, da hätte ich jede Woche hingehen können und das gleiche neu machen können. Aber der eine hätte sich wahrscheinlich als Messi bezeichnet und der andere... weiß ich gar nicht. Wo ist da für dich eine Grenze, sag ich mal?

 

[00:23:14.130] - Tina Lung

Also, ist es nicht mein Haupt-Spezialgebiet. Deshalb an alle Messie Experten da draußen, ich möchte mich nicht so weit rauslehnen -  aber bei den Messie betroffenen Menschen, die - soweit ich jetzt schon gelernt habe - also, nein, sie geben den Gegenständen einen falschen Wert. Oder die haben da falsche Maßstäbe, wie sie Gegenstände bewerten. Es gibt zum Beispiel Menschen, die behalten ja dann jede Plastiktüte, jeden leeren Joghurtbecher. Das ist ja theoretisch Abfall. Vor allem wenn man sagt: Ich verwende sie nicht noch mal. Ich bastle nicht damit, ich sammle sie einfach, behalte sie. Wieso hat so ein leerer Joghurtbecher so einen großen Wert, dass er schlussendlich selbst kaum ein Bewegen in der Wohnung noch möglich ist, weil er alles voll ist? Und da stecken halt ganz, ganz viele schmerzhafte Erfahrungen hintendran. Ich glaube auch häufig Verlust behaftete Erfahrungen, wo die Menschen sich einfach... ja, das gehört mir, das nimmt mir niemand mehr weg, auch wenn's mein leerer Joghurtbecher ist, der eigentlich Abfall wäre. Und dort ist einfach ganz viel Arbeit, viel weiter unter dem Müll oder dem Chaos oder dem angesammelten Ballast, wo man erst mal ansetzen muss. Und ich denke, es macht auch überhaupt keinen Sinn, einfach da mit einer Mulde reinzugehen und alles rauszuwerfen. Das kann ganz traumatisch sein für solche Menschen, wenn man einfach diese Sachen wegnimmt, die ja für diese Person einen hohen Wert haben, auch wenn wir das anders einschätzen.

 

[00:25:14.710] - Elinor Maiß

Wenn du das so definierst, kann ich das sehr gut nachvollziehen. Darüber habe ich auch noch nie nachgedacht. Das es nicht nur eine Unfähigkeit ist für solche Menschen, sondern eine Notwendigkeit.

 

[00:25:32.140] - Tina Lung

Ja. Natürlich kann es auch gepaart sein, aber.... also vor allem wenn es in so eine Sammelsucht reingeht. Ja, da wird's schon schwieriger. Da könnt jemand schon ganz ordentlich sammeln und alle, was auch immer Teddybären und Joghurtbecher und Zeitungen schön aufstellen, aber trotzdem es so füllen, dass da kaum mehr ein Bewegen möglich ist. Also, ich glaube, es ist auch wieder so individuell wie wir Menschen halt sind. Man man muss wirklich auf jede Person einzeln eingehen und es ganz genau miteinander aufarbeiten. Was steckt dahinter? Was kann die Person? Natürlich ist Aufräumen und Ordnung halten auch etwas, das man lernen kann. Aber welchen Nutzen habe ich, wenn ich das lerne oder eben auch eben nicht? Das ist ja dann halt immer das Wesentliche.

 

[00:26:38.790] - Elinor Maiß

Was wünschst du dir für deine Kunden und Kunden?

 

[00:26:44.400] - Tina Lung

Was ganz anderes, und zwar meine.... meine Kern-Leidenschaft ist, dass Frauen... Also meine Zielgruppe ist einfach Frauen. Ich berate und begleite auch Männer, aber spreche einfach eher Frauen an. Und ich wünsche mir, dass diese Frauen rausgehen und so ihre Stärken, ihre Fähigkeiten, so ihre... ihr Potenzial, ihre Berufung ausleben und in die Welt bringen, dass wir alle was davon haben. Und ich setze einfach einen Schritt weiter hinten an, weil ich sehe, so viele dieser Frauen lassen sich durch dieses Haushalts-Hamsterrad immer wieder ausbremsen. Sie haben weder Zeit, weil sie immer am Aufräumen und am Suchen und Putzen sind. Sie haben mental keine Kapazität, um mal genau ihre Ziele und Träume zu verfolgen. Sie haben keinen Platz, weil alles voll ist. Und ich setze einfach da an, dass ich ihnen helfe, in der räumlichen Ordnung und auch in der inneren Ordnung Struktur zu finden, damit sie dann eben schlussendlich. rausgehen und mal mit der Welt ihr wahres Potenzial teilen, anstatt immer nur aufzuräumen. Das ist doch nix .

 

[00:28:06.410] - Elinor Maiß

Das klingt klasse. Irgendjemand hat mal gesagt, die Hausarbeit ist die Arbeit, die am wenigsten geschätzt wird, nur die am meisten auffällt, wenn sie nicht getan wird.

 

[00:28:18.040] - Tina Lung

Ja, ja. Und es ist ja so eine wiederkehrende Arbeit. Also sie ist nie zu Ende. Man kann sie einfacher gestalten, aber sie wird immer wieder kommen.

 

[00:28:31.640] - Elinor Maiß

Was wünscht du dir denn für dich, Tina?

 

[00:28:36.500] - Tina Lung

 Ja, ich wünsche mir wirklich auch, dass ich zu diesen Frauen gehöre - das, was ich mir für meine Kundinnen wünsche - dass ich wirklich so einen Unterschied in der Welt machen kann, indem ich Frauen ermutige und also - in Anführungszeichen - befähige, aber sie motivieren, dass sie jetzt loslegen. Das erfüllt mich extrem, wenn ich sehe, wie sie einfach so Ballast abwerfen und so frei werden. Ist wirklich mein Wunsch, ich da so großen ...so ein großes Stück lostreten kann, dass da so eine Welle an mutigen, groß träumenden Frauen rausgehen.

 

[00:29:22.080] - Elinor Maiß

Das klingt toll. Was hast du denn.... oder hast du noch einen Tipp zum Schluss für unsere Zuhörerinnen/ Zuhörer?

 

[00:29:35.110] - Tina Lung

Ja, also mein Tipp ist: Schaut immer zuerst auf euer Wozu. Wo wollt ihr hin mit eurer Ordnung?  Wieso wollt ihr die Ordnung? Na klar, dass es aufgeräumt ist, aber fragt euch, was liegt denn dahinter? Wieso wollt ihr denn, dass es aufgeräumt ist? Und dann kommt vielleicht: Ja, weil ich dann weniger aufräumen muss. Ja, aber wieso willst du weniger aufräumen? Und dann kommt die Antwort: Dann habe ich mehr Zeit. Und wieso brauchst du mehr Zeit? Weil.... ich möchte in meine Kinder investieren und mit denen spielen und Zeit verbringen anstatt den ganzen Tag zu putzen. Und wenn wir dieses Wozu... das Warum schaut immer zurück zu einer Ursache, deshalb sage ich lieber Wozu... Weil Wozu schaut immer nach vorne? Und wenn wir dieses Wort Wozu kennen, dann fällt es uns so viel einfacher, weil dann macht es ja total Sinn, dass wir mal ein paar Stunden Kopf runter und Ordnung machen. Es hat wie einen neuen Wert. Und das wäre so mein Tipp. Schaut immer zuerst, was ist euer Gewinn?

 

[00:30:53.670] - Tina Lung

Wozu möchtet ihr diesen Gewinn? Und dann loslegen. Das ist so ein ein richtiger Turbo Motor.

 

[00:31:00.090] - Elinor Maiß

Das ist auch ein ganz interessanter Aspekt, den ich so noch nicht gesehen habe. Ja, danke, auch du hast mich jetzt inspiriert.

 

[00:31:07.850] - Tina Lung

Das freut mich sehr. Schön.

 

[00:31:13.320] - Elinor Maiß

Ich habe sonst eigentlich auch immer geguckt, was ...warum tut eine Person etwas oder warum ist etwas so? Aber - Wo will ich hin? - die ganz andere Richtung, ist eigentlich hilfreicher.

 

[00:31:27.870] - Tina Lung

Und ich merke auch umgangssprachlich, also zumindest hier so Süddeutschland, Schweiz nutzen wir 'warum' viel häufiger als das Wort 'wozu' und deshalb definiert es immer so genau, weil ich dann den Unterschied gemerkt habe, obwohl mir auch 'warum' viel geläufiger kommt. Aber eigentlich, nein, ich möchte ja schauen, wo möchte ich hin? Das ist das Vergangene ist es schon vorbei. Wir möchten ja vorwärts gehen und was erreichen.

 

[00:32:01.160] - Elinor Maiß

Ein sehr interessanter Aspekt zum Abschluss. Liebe Tina, ganz herzlichen Dank für das Interview.

 

[00:32:07.760] - Tina Lung

Sehr gerne, danke für die Einladung.

 

[00:32:09.890] - Elinor Maiß

Ganz viele tolle Kundinnen, die bereit sind hinzugucken, was sie bisher gehindert hat.

 

[00:32:18.280] - Tina Lung

Vielen lieben Dank

 

[00:32:20.320]

Sehr gerne. Tschüss!

 

[00:32:22.540] - Tina Lung

Dir auch einen schönen Tag. Tschüss, Elinor.

 

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